Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe
die Schriften
Otto Gross' vom Anfang des 20. Jahrhunderts wieder aufgelegt.
Gross,
Psychoanalytiker der ersten Stunde, sah 1913 den Revolutionär "gegen die
Vergewaltigung in ursprünglichster Form, gegen den Vater und das
Vaterrecht" kämpfen.
Zwangsläufig ist dieser Kampf einer gegen die
gesellschaftlichen Verhältnisse.
Als erster Analytiker vollzieht Gross
den Schritt von der individuellen Neurose zum gesellschaftlichen Leid.
--Brigitte Werneburg. -
Otto Hans Adolf Gross (* 17. März 1877 in
Gniebing bei Feldbach, Steiermark; † 13. Februar 1920 in Berlin) war ein
österreichischer Psychiater, Psychoanalytiker und Anarchist.
Als Privatdozent für das Fach Psychopathologie hielt er im Wintersemester 1906/07 eine Vorlesung Über die Freud’sche Ideogenitätslehre, die er zu einem Buch ausarbeitete.
Rezeption der Schriften: Otto Gross (1877–1920) wikipedia-Auszug
Zu Lebzeiten hatte Gross in deutschsprachigen
Ländern eine intensive Rezeption, die sich auf seine Schriften und sein
gesellschaftspolitisches Wirken erstreckte.
Eine hohe Aufmerksamkeit
erlangte die Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, die eine
solidarische Aktion seiner Freunde auslöste.[13]
Nach seinem Tode geriet
Otto Gross jedoch in Vergessenheit.
Grund dafür war in erster Linie
eine Damnatio memoriae, die Sigmund Freud über ihn verhängte, weil Gross
eine Anwendung psychoanalytischer Erkenntnisse auf gesellschaftliche
Probleme gefordert hatte.[14]
Gerhard M. Dienes, Kurator der Grazer
Ausstellung Die Gesetze des Vaters, kommentiert zusammenfassend das
organisierte Vergessen:
„Otto Gross gehörte dem Kreis von Freuds
abgefallenen Schülern an. Er stellte nicht die Sexualität, sondern deren
Konfliktsmodelle (sic!) in das Zentrum der Psychoanalyse.
Er war es,
der die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Psychoanalyse
lange vor Wilhelm Reich in den Vordergrund gestellt hat. Er war der
erste Gesellschaftskritiker unter den Psychoanalytikern."
Aber auch
Anarchisten und Literaten, die zu Gross’ Lebzeiten mit ihm in Kontakt
standen, diskutierten seine Ideen nicht weiter. Eine von Franz Jung für
1923 geplante Ausgabe gesammelter Schriften kam nicht zustande.
Ein
halbes Jahrhundert später traf es den Berliner Antiquar Hansjörg Viesel
„wie ein Schlag", als er nach vielen Jahren gründlicher Befassung mit
der Geschichte des Anarchismus ausgerechnet in einem Buch von Carl
Schmitt das erste Mal auf den Namen Otto Gross stieß:[16]
„Jede
Souveränität handelt, als wäre sie unfehlbar, jede Regierung ist absolut
– ein Satz, den ein Anarchist, wenn auch aus ganz anderer Absicht,
wortwörtlich ebenso hätte aussprechen können.
Alle anarchistischen
Lehren, von Babeuf bis Bakunin,
Kropotkin und Otto Groß (sic!), drehen sich um das eine Axiom: le peuple
est bon et le magistrat corruptible."[17]
Viesels Fund war der Anlass
zur Wiederentdeckung von Otto Gross im deutschsprachigen Raum. Zusammen
mit Hans Dieter Heilmann projektierte er eine zweibändige kommentierte
Werkausgabe der Schriften von Otto Gross, die 1973 beim anarchistischen
Karin Kramer Verlag erscheinen sollte.[18]
Auch sie kam nicht zustande.
Erst nachdem Martin Greens Else und Frieda (1976) und Emanuel Hurwitz’
Gross-Monographie (1979) den Autor aus der Vergessenheit geholt hatten,
konnte das Projekt – in reduzierter Form – verwirklicht werden:
1980
erschienen schließlich die 1923 von Franz Jung ausgewählten Schriften
auf ca. 100 Seiten plus Anhang
Politisches Bewusstsein und Psycho-Analyse seit 100 Jahren: Otto Gross
Vor
gut 100 Jahren begann die Forschung an der Psyche, systematisiert durch
Sigmund Freud und seinen Umkreis in Wien, der durchaus sehr politisch
orientiert war, auch öffentliches
Thema zu werden. Nach Anfeindungen aus der etablierten Ärzteschaft
wurden Freud und die Kollegen in der Psychoanalytischen Gesellschaft
vorsichtiger.
Otto
Gross, Freund von Johannes Nohl und Erich Mühsam, der ihm eine
Zeitschrift finanzieren wollte, war einer der hoffnungsvollen Schüler
Freuds, der sich quer durch die Szenen
bewegte und seine Forschung auch in den Cafehäusern in Schwabing und am
Monte Verità betrieb, die Folgen der Freien Liebe bearbeitete und die
Folgen des ärztlich fast üblichen Kokains zu entziehen versuchte.
[Sein
Vater, angesehener Kriminal-Jurist in Wien, ließ ihn 1913 in die
Psychiatrie entführen, entmündigen und internieren, im Juli 1914 wurde
er als genesen entlassen und arbeitete
als Landsturm-Arzt. Ab 1915 war Gross Mitarbeiter der Zeitschrift Die
freie Straße, zu der auch Max Herrmann-Neiße, Franz und Richard Oehring,
Georg Schrimpf, Oskar Maria Graf und Elsa Schiemann beitrugen.]
Otto
Gross lieferte Beiträge für die Zeitschriften Die Erde und Das Forum,
und er wechselte seine Wohnorte zwischen Graz, Wien und München. Im
Oktober 1919 zog er nach Berlin,
wo er bei Cläre und Franz Jung in Friedenau wohnte. Am 11. Februar 1920
wurde er unter Entzugssymptomen leidend in einem Durchgang zu einem
Lagerhaus von Freunden – auch von Hans Walter Gruhle – aufgefunden und
in eine Klinik nach Pankow gebracht, wo er zwei
Tage später starb.
Psycho-Politik
könnte auch heute spannend sein, wenn gegen die Trauma der Anfeindungen
und Ausgrenzung gemeinschaftlich gesprochen werden könnte. Wo?
Anlaufpunkte und Ansätze
sammeln …
Ein erster Entwurf:
https://github.com/raete-bayern/Personen/wiki/Otto-Gross---PsychoPolitik/
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