Montag, 8. Juni 2020

Otto Gross: Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe

Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe

die Schriften Otto Gross' vom Anfang des 20. Jahrhunderts wieder aufgelegt.



Gross, Psychoanalytiker der ersten Stunde, sah 1913 den Revolutionär "gegen die Vergewaltigung in ursprünglichster Form, gegen den Vater und das Vaterrecht" kämpfen.


Zwangsläufig ist dieser Kampf einer gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse.

Als erster Analytiker vollzieht Gross den Schritt von der individuellen Neurose zum gesellschaftlichen Leid. --Brigitte Werneburg. -



Otto Hans Adolf Gross (* 17. März 1877 in Gniebing bei Feldbach, Steiermark; † 13. Februar 1920 in Berlin) war ein österreichischer Psychiater, Psychoanalytiker und Anarchist.

"Im Sommersemester 1897 wechselte er an die Universität München. Anschließend studierte er gleichzeitig an den Universitäten Straßburg und Graz. In Graz wurde er 1899 zum Dr. med. promoviert. 1905 reichte Gross dort seine Habilitationsschrift ein.

Als Privatdozent für das Fach Psychopathologie hielt er im Wintersemester 1906/07 eine Vorlesung Über die Freud’sche Ideogenitätslehre, die er zu einem Buch ausarbeitete.

Rezeption der Schriften: Otto Gross (1877–1920) wikipedia-Auszug

Zu Lebzeiten hatte Gross in deutschsprachigen Ländern eine intensive Rezeption, die sich auf seine Schriften und sein gesellschaftspolitisches Wirken erstreckte.

Eine hohe Aufmerksamkeit erlangte die Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, die eine solidarische Aktion seiner Freunde auslöste.[13]

Nach seinem Tode geriet Otto Gross jedoch in Vergessenheit.

Grund dafür war in erster Linie eine Damnatio memoriae, die Sigmund Freud über ihn verhängte, weil Gross eine Anwendung psychoanalytischer Erkenntnisse auf gesellschaftliche Probleme gefordert hatte.[14]

Gerhard M. Dienes, Kurator der Grazer Ausstellung Die Gesetze des Vaters, kommentiert zusammenfassend das organisierte Vergessen:

„Otto Gross gehörte dem Kreis von Freuds abgefallenen Schülern an. Er stellte nicht die Sexualität, sondern deren Konfliktsmodelle (sic!) in das Zentrum der Psychoanalyse.

Er war es, der die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Psychoanalyse lange vor Wilhelm Reich in den Vordergrund gestellt hat. Er war der erste Gesellschaftskritiker unter den Psychoanalytikern."

Aber auch Anarchisten und Literaten, die zu Gross’ Lebzeiten mit ihm in Kontakt standen, diskutierten seine Ideen nicht weiter. Eine von Franz Jung für 1923 geplante Ausgabe gesammelter Schriften kam nicht zustande.

Ein halbes Jahrhundert später traf es den Berliner Antiquar Hansjörg Viesel „wie ein Schlag", als er nach vielen Jahren gründlicher Befassung mit der Geschichte des Anarchismus ausgerechnet in einem Buch von Carl Schmitt das erste Mal auf den Namen Otto Gross stieß:[16]

„Jede Souveränität handelt, als wäre sie unfehlbar, jede Regierung ist absolut – ein Satz, den ein Anarchist, wenn auch aus ganz anderer Absicht, wortwörtlich ebenso hätte aussprechen können.

Alle anarchistischen Lehren, von Babeuf bis Bakunin, Kropotkin und Otto Groß (sic!), drehen sich um das eine Axiom: le peuple est bon et le magistrat corruptible."[17]

Viesels Fund war der Anlass zur Wiederentdeckung von Otto Gross im deutschsprachigen Raum. Zusammen mit Hans Dieter Heilmann projektierte er eine zweibändige kommentierte Werkausgabe der Schriften von Otto Gross, die 1973 beim anarchistischen Karin Kramer Verlag erscheinen sollte.[18]

Auch sie kam nicht zustande. Erst nachdem Martin Greens Else und Frieda (1976) und Emanuel Hurwitz’ Gross-Monographie (1979) den Autor aus der Vergessenheit geholt hatten, konnte das Projekt – in reduzierter Form – verwirklicht werden:

1980 erschienen schließlich die 1923 von Franz Jung ausgewählten Schriften auf ca. 100 Seiten plus Anhang


Politisches Bewusstsein und Psycho-Analyse seit 100 Jahren: Otto Gross

  Vor gut 100 Jahren begann die Forschung an der Psyche, systematisiert durch Sigmund Freud und seinen Umkreis in Wien, der durchaus sehr politisch orientiert war, auch öffentliches Thema zu werden. Nach Anfeindungen aus der etablierten Ärzteschaft wurden Freud und die Kollegen in der Psychoanalytischen Gesellschaft vorsichtiger.

  Otto Gross, Freund von Johannes Nohl und Erich Mühsam, der ihm eine Zeitschrift finanzieren wollte, war einer der hoffnungsvollen Schüler Freuds, der sich quer durch die Szenen bewegte und seine Forschung auch in den Cafehäusern in Schwabing und am Monte Verità betrieb, die Folgen der Freien Liebe bearbeitete und die Folgen des ärztlich fast üblichen Kokains zu entziehen versuchte.

  [Sein Vater, angesehener Kriminal-Jurist in Wien, ließ ihn 1913 in die Psychiatrie entführen, entmündigen und internieren, im Juli 1914 wurde er als genesen entlassen und arbeitete als Landsturm-Arzt. Ab 1915 war Gross Mitarbeiter der Zeitschrift Die freie Straße, zu der auch Max Herrmann-Neiße, Franz und Richard Oehring, Georg Schrimpf, Oskar Maria Graf und Elsa Schiemann beitrugen.]

  Otto Gross lieferte Beiträge für die Zeitschriften Die Erde und Das Forum, und er wechselte seine Wohnorte zwischen Graz, Wien und München. Im Oktober 1919 zog er nach Berlin, wo er bei Cläre und Franz Jung in Friedenau wohnte. Am 11. Februar 1920 wurde er unter Entzugssymptomen leidend in einem Durchgang zu einem Lagerhaus von Freunden – auch von Hans Walter Gruhle – aufgefunden und in eine Klinik nach Pankow gebracht, wo er zwei Tage später starb.

  Psycho-Politik könnte auch heute spannend sein, wenn gegen die Trauma der Anfeindungen und Ausgrenzung gemeinschaftlich gesprochen werden könnte. Wo? Anlaufpunkte und Ansätze sammeln …

  Ein erster Entwurf:

https://github.com/raete-bayern/Personen/wiki/Otto-Gross---PsychoPolitik/

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